Konzept
Straßenpirat:innen – Pirat:innensozialarbeit
1. Grundidee
Pirat:innensozialarbeit ist eine Form der offenen Kinder und Jugendarbeit, die orientiert an aktuellen lokalen Bedürfnissen, bzw. an aktuellen Bedürfnissen von bestimmten Gruppen/Szenen junger Menschen, vor Ort temporäre Projekte anbietet. Hierbei bilden Mobilität, politische Unabhängigkeit und die Möglichkeit kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können unsere wesentliche Arbeitsgrundlage.
2. Zielgruppe
Die Angebote der Straßenpirat:innen richten sich ganz grundsätzlich an junge Menschen bis 25 Jahre. Einzelne Projekte richten sich, wenn inhaltlich oder fachlich sinnvoll, an bestimmte Zielgruppen.
Hierbei wird sich nicht auf die „üblichen“ Randgruppen beschränkt. Bewusst wird die Zielgruppe der Straßenpirat:innen nicht an Merkmalen wie Migrationserfahrungen in der Familie, finanzielle Situation der Eltern, Bildungshintergrund o.ä. differenziert. Alle jungen Menschen haben gleichermaßen das Bedürfnis, die Welt kennen zu lernen, neue Kompetenzen zu erwerben, sich Freiräume anzueignen und (alltägliche, gesellschaftliche, politische) Handlungsräume auszubauen.
Um aber der Tatsache Rechnung zu tragen, dass aufgrund ihrer jeweiligen finanziellen, sozialen oder körperlichen Situation natürlich nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Kultur, Kunst und Musik haben, werden die Projekte der Straßenpirat:innen möglichst barrierefrei (in jeglicher Hinsicht) gestaltet. Offene Kinder- und Jugendarbeit heißt: Offen für alle!
3. Ziele
– Vermittlung von Erfahrungen der eigenen Kompetenz
Grundsätzlich zielt die Arbeit der Straßenpirat:innen darauf ab, jungen Menschen Erfahrungen zu ermöglichen, die ihre Entwicklung zu selbstbestimmten, kreativen Individuen fördern. Hierbei geht es nicht um das Schaffen von kurzfristigen Freizeiterlebnissen, sondern um das Vermitteln von Erfahrungen der eigenen Handlungsfähigkeit, der Selbstbestimmung und des Gefühls, selbst etwas bewegen zu können.
– Förderung von (Schlüssel-)Kompetenzen
Die zu diesem Zweck durchgeführten Projekte, wie auch die Arbeit der Straßenpirat:innen im Allgemeinen, zielen darauf ab, (Schlüssel-)Kompetenzen der Selbstorganisation und der eigenständigen Handlungsfähigkeit zu fördern. Hierzu gehören soziale Kompetenzen wie Kooperationsbereitschaft, Respekt, Solidarität und Rücksichtnahme, aber auch ganz praktische Kompetenzen wie Kreativität, Organisationsfähigkeit, Improvisationsfähigkeit, handwerkliches Geschick, sowie die Fähigkeit sich längerfristig und strukturiert einer Aufgabe zu widmen.
– Erweiterung des Horizonts
Nach dem Motto „nur wer die Welt kennt, kann sich auch frei in ihr bewegen“ setzt die Arbeit der Straßenpirat:innen darauf, Kindern und Jugendlichen Erfahrungen und Erlebnisse zu ermöglichen, die ihnen einen Einblick geben in Bereiche, die ihnen aufgrund ihres Alters oder ihrer sozialen oder körperlichen Situation sonst nicht zugänglich sind.
– Förderung jugendlicher Selbstverwaltung
Jugendliche haben in der Regel sehr klare Vorstellungen darüber, wie sie leben wollen, sowie große kreative Potentiale. Sie dabei zu unterstützen, ihre Ideen unter eigener Regie auch in die Realität umzusetzen, ist eine weitere Zielsetzung der Arbeit der Straßenpirat:innen.
– Erhalt klassischer, emanzipatorischer Offener Kinder- und Jugendarbeit
Auf der politischen Ebene haben sich die Straßenpirat:innen den Kampf für den Erhalt der klassischen, emanzipatorischen Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) auf die Fahne geschrieben. Durch die Veränderung des Schulsystems hin zu einer flächendeckenden Einrichtung von Ganztagsschulen wird diese immer stärker eingeschränkt und „zerspart“.
Um dieser Entwicklung etwas entgegen zu setzen, versuchen die Straßenpirat:innen dort mit mobilen Projekten in die Bresche zu springen, wo stationäre Angebote der OKJA eingespart und zusammengestrichen werden. Um aber nicht nur Feuerwehr zu spielen sollen durch Projekte an Standorten, die bisher nicht von stationären Einrichtungen abgedeckt werden, die Spielräume der OKJA erweitert werden.
– Schaffen von Alternativen zum ganztägigen Schulbesuch
Dem flächendeckenden Ausbau von geschlossenen Ganztagsschulen stehen die Straßenpirat:innen inhaltlich kritisch gegenüber, denn hierdurch wird es für junge Menschen immer schwieriger, ihre Freizeit selbstbestimmt zu gestalten – was nicht im Sinne der Schule ist, können sie nicht erleben; Kompetenzen die hier nicht vermittelt werden, können sie nicht erwerben. Durch das zwangsweise Verbringen des gesamten Tages in nicht-selbstgewählten Klassengemeinschaften wird Jugendlichen, die in dieser sozialen Umgebung nicht zurecht kommen, außerdem die Möglichkeit positiver sozialer Erfahrungen genommen, die sie bisher im außerschulischen Bereich machen konnten.
Die Arbeit der Straßenpirat:innen zielt darauf ab, jungen Menschen Alternativen zu Staatserziehung in Zwangsgemeinschaften zu bieten, bzw. diese darin zu fördern sich Freiräume für Selbstorganisation, Peer-Education und selbstbestimmt Freizeitgestaltung anzueignen.
4. Methoden
– Grundsätzlich bieten die Straßenpirat:innen Projekte, Workshops, offene Werkstätten und Jamsessions in den Bereichen Kunst, Musik und Kultur an, decken aber je nach Bedarf auch andere Fachbereiche (z.B. Bildungsarbeit, Erlebnispädagogik o.ä.) ab.
– Die Basis der methodischen Arbeit der Straßenpirat:innen bildet hierbei das Schaffen von temporären Jugendzentren/-räumen: Auf öffentlichen Plätzen, in soziokulturellen Zentren, in Parks oder öffentlichen Gebäuden werden zeitlich begrenzte Projekte mit jungen Menschen durchgeführt. Wenn sich hieraus eine längerfristige Aneignung der genutzten Räume durch Jugendliche ergibt – um so besser.
– Entsprechende Projekte werden aber auch in bereits bestehenden Einrichtungen der Jugendarbeit durchgeführt. Gerade vor dem Hintergrund der häufig prekären finanziellen Situation solcher Einrichtungen bilden temporäre Projekte durch externe Anbieter, und im Idealfall mit externer Finanzierung, eine Möglichkeit trotz leerer Kassen vielfältige pädagogische Angebote durchzuführen.
– Aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Angebote kann eine sozialpädagogische Beziehungsarbeit keine Methode der Straßenpirat:innen sein. Unsere Projekte, Projektreihen und Module zielen auf die kompakte Vermittlung von Schlüsselkompetenzen und Erfahrungen ab.
– Um aber entstandene Kontakte nach Ende eines Angebotes nicht einfach abzubrechen, bieten die Straßenpiraten Projektteilnehmer_innen Kontaktmöglichkeiten, etwa auf Kommunikationsplattformen im Internet/web2.0. Hierüber soll ein Netzwerk aufgebaut und gepflegt werden, über das die Kinder und Jugendlichen untereinander sowie zu an Projekten beteiligten Fachleuten Kontakt halten können, um weiterhin aktiv bleiben zu können.
5. Arbeitsweise
– Grundsätzlich orientiert sich die Arbeit der Straßenpirat:innen an den Grundsätzen klassischer Offener Kinder- und Jugendarbeit, also Offenheit, Freiwilligkeit und Emanzipation.
Niemand wird zur Teilnahme an unsere Angeboten gezwungen, sie sollen zugänglich für alle sein und haben immer zum Gegenstand, die Teilnehmenden zu einer selbstbestimmteren Teilhabe an der Gesellschaft zu befähigen. Aus letzterem ergibt sich auch, dass unsere Projekte nicht nach dem klassischen Lehrer:in-Schüler:in-Muster aufgebaut sind, sondern immer auch Elemente der Peer-Education beinhalten.
– Ein weiterer zentraler Grundsatz ist der der Lebenswelt- und Bedürfnisorientierung.
Die Angebote der Straßenpirat:innen orientieren sich in Inhalt und Form an dem, was der jeweiligen Zielgruppe aktuell wichtig ist, was für diese aktuelle Problemlagen darstellt und in welcher sozialen und gesellschaftlichen Umwelt diese sich behaupten muss.
– Als dritte Grundlage für unsere Arbeit ist schließlich die Alltagsorientierung anzuführen.
Alles was Kinder und Jugendliche in unseren Projekten lernen, sollen sie auch auf ihren Alltag übertragen können. Wir zielen nicht auf die Vermittlung von abstrakten Wissensbeständen ab, sondern vermitteln Kompetenzen und Erfahrungen, die den Projektteilnehmer:innen auch in ihrem realen Leben von nutzen sind.
In diesem Zusammenhang steht auch die personelle Besetzung unserer Angebote. Wir versuchen hier immer mit Fachleuten aus den entsprechenden Arbeitsbereichen oder Gewerken zusammenzuarbeiten, um einen größtmöglichen Realitätsbezug herzustellen. Unsere Angebote sind keine „pädagogischen Spielplätze“.
Ebenso versuchen wir, bei unseren Projekten lokale Potentiale zu nutzen, lokale Strukturen einzubeziehen und so auch über den Projektzeitraum zur Vernetzung und Entwicklung der jeweiligen Gemeinwesen beizutragen.